Auch wenn eine eindeutige Aussage über die wirkliche Anzahl der verschiedenen Aborigine-Dialekte nur schwer zu treffen ist, geht man davon aus, dass es früher einmal so viele verschiedene Sprachvarianten wie Stämme gegeben hat. Da die Anzahl der Stämme auf rund 500 festzumachen ist, erscheint die Zahl der Sprachen in Australien gewaltig – und man muss bei dieser Einschätzung der Tatsache Rechnung tragen, dass es sich eben nicht nur – wie vielleicht Deutschland oder anderen westlichen Ländern – um Dialekte, sondern beinahe um weitgehend eigenständige Sprachen handelt. Der Grund für diese Vielfalt ist in der Geschichte der Aborigines zu suchen.
Die verschiedenen Stämme kamen zu verschiedenen Zeitpunkten nach Australien. So war die Sprache, die sie mit nach Australien brachten, schon eine andere, als die bereits in Australien sesshaften Stämme sie sprachen; andererseits hatte auch die neue Umgebung bereits eine Auswirkung auf diese Sprachen gehabt.
Andererseits ist die Landschaft in Australien sehr vielfältig, und die relativ festen Grenzen der Stammesgebiete führten zu Lebensbedingungen, die sich von Stamm zu Stamm teilweise drastisch unterschieden. Auch die unterschiedlichen Lebenswelten hatten ihre Auswirkungen auf die Sprachen der Aborigines.
Doch nicht nur die unübersichtlich große Anzahl macht ein Urteil über die Sprache der Aborigines schwierig – es ist auch für einen Außenstehenden beinahe unmöglich, auch nur eine der Sprachen zu lernen. Nicht nur, dass die Sprachen sehr komplex sind und dabei auch noch speziell auf die Lebenswelt eine Stammes ausgerichtet, was ein „hineindenken“ für Europäer schon schwer genug machen würde – es ist auch beinahe niemand bereit, einem Weißen die Sprache überhaupt beizubringen.
Daher weiss wohl niemand, wie viele der Sprachen aus der Vergangenheit heute noch erhalten sind, und es liegt auch kaum anderes Wissen über die Sprachen vor. Die Aborigines sind nicht an Studien über ihre Sprache interessiert, während die weißen Wissenschaftler einfach nicht genug Material dafür auftreiben können.
Die Geschichte der Sprachen Australiens hat allerdings auch entscheidende Auswirkungen auf die Aborigines selbst gehabt. Viele der Geschichten und Legenden wurden in jedem Stamm nur in der jeweiligen Stammessprache weitergegeben. Entwurzelung, Umsiedlung und die Vernichtung der Althergebrachten Stammesgemeinschaften haben so schwere Löcher in die Überlieferung der Aborigines gerissen, eine Tatsache, der die verschiedenen Bewegungen zur Stärkung der Traditionen der Ureinwohner Rechnung tragen wollen.
Allerdings erfolgten diese Bewegungen zu spät – die Zerstörung ist bereits angerichtet, und viele der Legenden von früher sind verloren.
Die Schäden, die in der Kultur der Aborigines angerichtet wurden, sind nicht zuletzt auf die Missionierungsversuche der christlichen Kirchen zurückzuführen. Zwar wurden diese nie mit wirklichem Erfolg betrieben, doch hat der übliche missionarische Weg, Schulen zu gründen und christliche Kultur zu „unterrichten“ seine Spuren hinterlassen. So sind zum Beispiel große Teile des naturheilkundlichen Wissens der Aborigines verloren; die Teile allerdings, die bis heute erhalten sind, werden nun durch die Arbeiten westlicher Wissenschaftler archiviert und untersucht. Alte Weise der Aborigine, die noch über dieses Wissen verfügen, sind zwar nicht immer, aber doch erstaunlich häufig zur Kooperation bereit.