Wenn man sich mit Canberra beschäftigt, kommt man an der Tatsache, dass es sich um keine natürlich gewachsene Stadt, sondern um eine künstlich Geplante handelt, nicht vorbei.
Die Geschichte Canberras beginnt mit der Gründung des Staatenbundes, der die Nation des heutigen Australiens bildete. 1901, als diese Gründung beschlossen und festgemacht war, stritten die rivalisierenden Metropolen Sydney und Melbourne darum, wer von Beiden denn nun Hauptstadt der neu gegründeten Nation werden sollte.
Der Zwist zwischen den beiden Städten, der schon seit den Gründertagen der ersten Siedlungen in Australien bestanden hatte (beide Städte hatten eine schnelle, äußerst beeindruckende Entwicklung hinter sich, und jeder konnte Argumente vorbringen und widerlegen, warum die eine oder andere Wahl die bessere wäre), drohte zu eskalieren, und mit aller politischen Einflussnahme der neuen Regierung schien er nicht beizulegen zu sein.
Der einzige Weg, der den Zuständigen als mögliche Lösung erschien, war die Gründung einer Stadt auf halbem Weg zwischen den beiden Rivalen. Vorerst wurde Melbourne zum Sitz des Parlaments bestimmt (eine Tatsache, die Sydney zwar auch nicht schätzte, aber tolerieren musste), und in den folgenden sieben Jahren durchstreifte eine Gremium die Lande, um einen geeigneten Platz für solch eine künstliche Hauptstadt zu finden.
Die Maßgaben, nach denen das Gremium zu suchen hatte, waren klar: die Hauptstadt sollte in etwa auf halbem Weg zwischen Melbourne und Sydney liegen, sollte allerdings aus historischen Gründen auf dem Boden von New South Wales errichtet werden. Dennoch durfte sie nicht näher als 100 Meilen an Sydney liegen, um dem Widerstand Melbourne gerecht zu werden.
Am 8. Oktober 1908, als eine große Zahl von möglichen Grundstücken betrachtet worden war (auch wenn die Bezeichnung „Grundstück“ für das Gebiet einer ganzen Stadt ein wenig gewagt erscheint), kam es zu einer Abstimmung. Mit knapper Mehrheit setzten die Befürworter des zur Debatte stehenden ungefähr 2.400 Quadratkilometer großen Stücks Land durch, und die neue Hauptstadt sollte 300 Kilometer von Sydney und 660 Kilometer von Melbourne entfernt gegründet werden.
Der nach dieser knappen Abstimmung gewählte Platz trug in der Sprache der Aborigines den Namen „Kamberra“, was so viel wie „Treffpunkt“ bedeutete – ein passender Name für die neue Hauptstadt des jungen Staates, fand man in Australien.
Doch auch wenn der Name der Hauptstadt dem der Aborigines erstaunlich nahe kommt, reichte der Respekt gegenüber den Ureinwohnern in dieser Zeit noch nicht weiter – die rund 1.700 lebenden Aborigines vom Stamm Ngunnawal wurden vertrieben, und ihr „Treffpunkt“ wurde annektiert, um nun der Treffpunkt der europäischen Siedler zu werden, die sich zu diesem Zeitpunkt natürlich schon lange nicht mehr als Siedler sahen.
Der auf diese Wahl hin folgende Architektenwettbewerb brachte den Zuständigen die stattliche Anzahl von 137 Einsendungen auf den Tisch, und nach einem langen Entscheidungsprozess (immerhin ging es um die zukünftige Hauptstadt!) fiel die Wahl auf den Entwurf eines Amerikaners. Walter Burley Griffin hatte zwar Amerika nie verlassen und kannte Kamberra daher auch nur von verschiedenen Dokumenten, doch er hatte es mit großer Kunstfertigkeit verstanden, die natürlichen Gegebenheiten des ihm unbekannten Landes in sein Konzept zu integrieren, was ihm schließlich den Zuschlag einbrachte. Aus seinen Unterlagen war ein Vorbild für die australische Kapital klar ersichtlich – nämlich die amerikanische Hauptstadt Washington D.C.
Es sollte noch bis 1913 dauern, bis Griffin nach Australien kam, um den Bau der Stadt mir Rat und Tat anzuleiten, und weitere 14 Jahre vergangen, ehe genug Gebäude errichtet waren, damit Canberra die Funktion der Hauptstadt Australiens auch wahrnehmen konnte.
So tagte das Bundesparlament im Mai 1927 zum ersten Mal in den neu errichteten Gebäuden, während sich Canberra immer noch im Aufbau befand – die Bauarbeiten hielten an, denn Griffins Pläne waren ebenso ehrgeizig, wie es sich die Gründer Australiens vorgestellt hatten.
Erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhundert konnte man davon sprechen, dass Griffins Pläne vollendet waren, doch war es aufgrund der langen Bauphase nicht absehbar gewesen, dass selbst Griffins ehrgeiziges Konzept am Ende für die australische Hauptstadt nicht ausreichen würde.
Viele der neu errichteten Räumlichkeiten waren zu klein geworden, und Canberra hatte während der Jahre des Baus rund 100.000 Einwohner
angezogen, eine Zahl, die Griffin in sein Konzept nicht eingeplant hatte.
So wurden die Bauarbeiten an vielen Stellen der Stadt fortgesetzt. Ein gewaltiges Bauvorhaben sollte aber die nächsten Jahre überschatten, nämlich das neue Parlamentsgebäude, welches die Politiker in Canberra schnell bewilligt hatten, als ihnen das Alte zu kein für ihre Zwecke erschien.
Im Rahmen der 200-Jahr-Feier Australiens 1988 wurde das neue Parlamentsgebäude eingeweiht. Mit stolzen Baukosten von mehr als einer Milliarde Dollar gilt es als das wahrscheinlich teuerste Regierungsgebäude der Welt.